Alumni VIP – Géraldine Schwarz in „Begegnung“
In der Zeitschrift Begegnung – Deutsche schulische Arbeit im Ausland erschien in der jüngsten Ausgabe 3-2020 ein Artikel über die Deutsch-Französin Géraldine Schwarz, eine ehemalige Schülerin der Deutschen Abteilung. Die Journalistin und Autorin war 2019 zu einer Lesung ans Lycée International gekommen, um aus ihrem Buch „Die Gedächtnislosen – Erinnerungen einer Europäerin“ vorzulesen und mit den Schülerinnen und Schülern über Vergangenheitsbewältigung zu sprechen (wir haben in der Brücke-Ausgabe Nr. 96 vom März 2019 darüber berichtet). Das Buch wurde letzten Sommer auch im Literarischen Salon besprochen.
In dem Artikel Mit dem dritten Auge gegen das Vergessen (ab S. 20) spricht sie auch über ihre Erfahrung am Lycée International:
Im Alter von zehn Jahren [ist Géraldine Schwarz] in die sechste Klasse der deutschen Abteilung des Lycée International de Saint-Germain-en-Laye [gewechselt]. Ein Schulwechsel, der die mittlerweile 46-jährige Autorin nachhaltig geprägt hat. „Mein Vater ist Deutscher und hat mir die deutsche Kultur vermittelt. Ich weiß aber nicht, ob ich ohne diese Schule die französische und die deutsche Kultur jeweils so gut kennen würde, wie es heute der Fall ist“, sagt Géraldine Schwarz. In der neuen Schule habe sie sich gleich sehr wohl gefühlt. „Weil alle Kinder so waren wie ich: halb Franzosen und halb aus einer anderen Kultur. Die Stimmung war von einer Offenheit gegenüber anderen Kulturen geprägt.“ Balsam für die junge Géraldine, die sich an ihrer französischen Grundschule für ihre deutsche Herkunft schämen musste, sobald der Erste und der Zweite Weltkrieg erwähnt wurden. Am Lycée International, das im Rahmen des Kalten Krieges gegründet wurde, folgten Kinder mit Eltern oder einer Elternhälfte aus verschiedenen anderen Nationen des Westblocks, von Amerika bis Schweden, dem französischen Lehrplan und besuchten zusätzlich den Literatur- und Geschichtsunterricht des jeweils anderen Landes.
Das multikulturelle Miteinander an der Schule [dem Lycée International] war auch ihr größtes Pfund, erinnert sich Géraldine Schwarz. Das habe ihren Blick auf die Welt geschärft. „Im Literaturunterricht auf Französisch ging es darum, uns für die Literatur als Kunstform zu sensibilisieren und uns zu Trägern der französischen Kultur zu formen. Über die Literatur, die wir im deutschen Unterricht besprachen, lernten wir hingegen Dinge, die für das alltägliche Leben in einer Demokratie wichtig waren: sei es Verantwortungsbewusstsein, die Fehlbarkeit des Menschen sowie die Veränderung seines Verhaltens in einer Gruppe vor dem Hintergrund der Nazi-Vergangenheit. Diese Themen habe ich im Deutschunterricht mit Autoren wie Max Frisch oder Günther Grass kennengelernt.“ Es war auch ein Deutschlehrer, der Géraldine Schwarz dazu aufforderte, Ungehorsam zu zeigen, sollte ihr Bauchgefühl sie auf Ungerechtigkeiten hinweisen: ein Aufruf zur eigenen politischen Meinungsbildung, den sie im französischsprachigen Unterricht so nicht wahrnahm. „Wenn man in zwei Kulturen aufwächst, entsteht eine Art drittes Auge. Man erkennt Eigenschaften der französischen Kultur, die die Franzosen selbst nicht sehen. Umgekehrt verhält es sich genauso bei der deutschen Kultur.“